Odeon#
Betritt man das Ausgrabungsgelände durch das obere Tor, befindet man sich im politischen Zentrum von Ephesus. Am großen Platz, der Staatsagora, hüteten priesterliche Jungfrauen das ewige Feuer. Im Norden begrenzte das Rathaus den Platz. Seiner Form wegen wird es Odeion genannt. Auf 27 Reihen konnten 1400 Zuschauer die öffentlichen Sitzungen der Stadtväter verfolgen. Die Regierung wurde von einem Rat gewählter Bürger gebildet.
Zu Ephesus berühmtesten Bürgern zählte der hier 520 v.d.Z. geborene Philosoph Heraklit. Sein ganzes Streben galt der Wahrheit, die er hinter den alltäglichen Dingen vermutete. Dort, so Heraklit, werde die Welt von logos, einer Art Naturgesetz gelenkt, eine wahrhaft bahnbrechende Idee für die damalige Zeit. Der Philosoph fragte sich, was das Beständige hinter den vielfältigen Erscheinungsformen der Welt sei und kam zum Schluss, dass sich alles wandelt und daher der Wandel selbst das Unveränderliche sei. 'Alles fließt', meinte der große Denker. Als Ursache des Wandels sah er den Widerstreit von Gegensätzen, von Tag und Nacht, von Liebe und Hass, von Kaltem und Heißem. Dies führte ihn zur Aussage 'Der Widerstreit ist der Vater aller Dinge', was oft fälschlicherweise als 'Der Krieg ist der Vater aller Dinge' übersetzt wurde. Im realen Leben war Heraklit eine ziemlich dubiose Gestalt. Als glühender Misanthrop zog er sich in die Berge zurück, um sich ausschließlich von Kräutern und Gräsern zu ernähren. Als Aristokrat lehnte er die Demokratie entschieden ab. Gegen verfahrene politische Situationen hatte er ein probates Mittel zur Hand. Er riet seinen Mitbürgern: 'Recht täten die Ephesier, wenn sie sich alle Mann für Mann aufhängten.' Sie taten es nicht und Ephesus blühte weiter, auch als die Stadt 133 v.d.Z. unter römische Herrschaft gelangte. Als Hauptstadt der Provinz Asia erlebte sie einen neuerlichen Aufschwung.