Huang Shan - Yuping Upper Terminus; Tourist Scrum#

Huang Shan - Yuping Upper Terminus; Tourist Scrum
Huang Shan - Yuping Upper Terminus; Tourist Scrum, April 2012, © Gerhard Huber, under CC BY-NC 4.0 +Edu

Der Huangshan betört zweifelsohne den Naturliebhaber. Er wird als mystische und meditative Landschaft verklärt, dem Himmel näher als der Erde. Das mag zutreffend gewesen sein und ist es noch immer, solange man den richtigen Motiv-Ausschnitt wählt. Schwenkt man die Kamera nur um ein paar Grad und lässt den Originalton mitlaufen, fühlt man sich schnell der Hölle näher als dem Himmel. Seit Deng Xiaoping die Landschaft zur schönsten der Welt erklärt hatte, ist buchstäblich der Teufel los. Auf den breiten Wanderwegen gibt es kaum ein Vorankommen zwischen den laut grölenden Touristengruppen. Doch wen stört's ? Die Chinesen jedenfalls nicht! Anlass genug, der chinesischen Seele nochmals ein wenig auf den Grund zu gehen, um zumindest den Versuch einer Erklärung zu wagen. Möchte man die chinesische Kultur charakterisieren, lassen sich einige Schlüsselfaktoren identifizieren. Dazu gehören Gruppendenken, Indirektheit, Wahrung des Gesichtes, Hierarchiebewusstsein, Ritualisierung, Diesseitigkeit, Sinozentrismus, d.h. der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Kultur und die schon vielzitierte Harmonie. Chinesen sind endlos harmoniebedürftig und kompromissbereit – doch diese Harmoniepflicht gilt nur für Insider, für Zugehörige zur eigenen Gruppe. Von lautem und rücksichtslosem Verhalten in der Öffentlichkeit kann daher keineswegs auf das Verhalten derselben Person in der Familie oder im Betrieb geschlossen werden. Für Chinesen sind daher Drängeln und Rempeleien nichts Ungewöhnliches. Nur westliche Besucher stoßen hier schnell an die Grenzen ihrer eigenen Toleranz. Zudem muss man sich als Besucher ständig vor Augen führen, dass Individualisten eine in China kaum vorkommende Spezies sind. Die meisten Chinesen lieben Gruppenreisen und fühlen sich nur im Rudel wohl. Hektisch fotografierend, im Laufschritt der Gruppe folgend und dabei lautstark Kommentare abgebend – das macht chinesische Touristen glücklich. Sogar Untersuchungen von Verhaltensforschern bestätigen dies. Das Schlimmste, was man einem Chinesen antun kann, ist, ihm 'Zeit zur freien Verfügung' zu lassen. Das stresst ihn mehr als jede Rempelei innerhalb der Gruppe. Dieses Verhalten macht Reisen nach China oftmals schwer erträglich, aber dafür umso faszinierender. Kulturen sind eben verschieden. Wer wieder einmal über den wuselnden Menschenmassen verzweifelt, sollte sein Gehirn daher umschalten und das Schauspiel als Verhaltensstudie sehen. Es erlaubt oft mehr Einblicke in die chinesische Weltsicht als so mancher Tempelbesuch.