Lore Trenkler und ihr Schmarren für den Kaiser#

Eine Erinnerung an Haile Selassie, den umstrittenen Herrscher über Äthiopien, und an seine österreichische Köchin.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 20. Jänner 2019

Von

Christian Hütterer


Kaiser Haile Selassie (1892-1975), hier auf einer Aufnahme des Schweizer Fotografen Walter Mittelholzer, 1934.
Kaiser Haile Selassie (1892-1975), hier auf einer Aufnahme des Schweizer Fotografen Walter Mittelholzer, 1934.
Aus: Wikicommons, unter PD

Es begann im Sommer 1960 mit einem Stelleninserat: Der äthiopische Kaiserhof suchte eine Diätassistentin für die an Diabetes leidende Kaiserin. Bewerberinnen sollten über eine entsprechende Ausbildung verfügen, älter als 40 Jahre sein und Französisch sprechen. Die Österreicherin Lore Trenkler war zu dieser Zeit als Köchin in einem Krankenhaus im deutschen Bad Homburg tätig und als sie diese Anzeige sah, erwachte in ihr das Fernweh. Sie bewarb sich für die Stelle und erhielt bald darauf ein Telegramm mit einer erfreulichen Antwort, sie sollte ihren neuen Posten in Afrika so schnell wie möglich antreten.

Formalitäten mussten noch erledigt werden, aber einige Monate später war es so weit: Eine Maschine der Lufthansa landete in Addis Abeba, an Bord war Lore Trenkler. Neben der Neugier und Vorfreude war die Köchin aber vor allem unsicher: Wie würde sich ihr Leben in Afrika gestalten? Unter welchen Bedingungen würde sie arbeiten, wie mit den kaiserlichen Hoheiten umgehen?

Die ersten Tage in Äthiopien trugen nicht dazu bei, ihre Unsicherheit zu vermindern, denn Trenkler verbrachte sie mit Warten auf die erste Audienz bei Kaiser Haile Selassie. Als es endlich so weit war, wurde sie instruiert, wie sie sich zu verhalten habe. Trotz aller Belehrungen beging Trenkler einen Fauxpas und vergaß einen der vom Zeremoniell vorgeschriebenen Knickse, worüber der Kaiser aber gnädig hinwegsah.

Lost in Addis Abeba#

Der fehlende Knicks sollte aber ein geringes Problem sein im Vergleich zu dem, was bald danach kam. Nur wenige Wochen nach Trenklers Ankunft in Addis Abeba reiste Haile Selassie ins Ausland, und Verwandte aus der kaiserlichen Familie nutzten diese Gelegenheit zu einem Staatsstreich. Trenkler konnte aus Sicherheitsgründen den Palast tagelang nicht verlassen. Aber auch nach der Niederschlagung des Putsches stand sie vielen Problemen gegenüber: Sie kannte noch keine Europäer in Addis Abeba, zu Äthiopiern hatte sie aber auch keinen Kontakt, weil sie die Sprache des Landes nicht verstand, und ihre Arbeitsbedingungen im Palast waren mittelalterlich, denn es wurde noch auf offenem Feuer gekocht. Kurz: Trenkler bereute ihren Entschluss, nach Afrika gekommen zu sein.

Aber dann ereignete sich etwas höchst Außergewöhnliches: Der Kaiser kam persönlich in die Küche! Er fragte Trenkler, ob sie sich gut eingelebt habe und gab die Anordnung, dass sie bei ihrer Arbeit unterstützt werden sollte. Der überraschende Besuch gab der Köchin Auftrieb und sie sah ihr neues Leben in einem besseren Licht.

Lore Trenklers Foto in einem Ausweis
Lore Trenklers Foto in einem Ausweis, der sie zum Betreten der kaiserlichen Paläste berechtigte.
Foto: © Abb.: aus erw. Buch

Trenkler, die als Diätköchin für die Kaiserin engagiert worden war, fühlte sich mit dieser Aufgabe nicht ausgelastet und begann, gelegentlich den Kaiser zu bekochen. Sie war für die Nachspeisen zuständig und wurde dabei immer wieder im großen Fundus der österreichischen Mehlspeisen fündig. So kam es, dass Spezialitäten wie Kaiserschmarren und Brandteigkrapferl ihren Weg auf die Tafel des Kaisers von Äthiopien fanden. Eine besondere Herausforderung waren die vielen Fastenzeiten, die von der äthiopischen Kirche vorgeschrieben waren - und auch von Haile Selassie eingehalten wurden. An diesen Tagen waren tierische Produkte verboten, und durch die österreichische Köchin wurde Apfelstrudel zu einer traditionellen Fastenspeise am kaiserlichen Hof.

Als die kranke Kaiserin 1962 starb, wusste Trenkler nicht, wie es mit ihr weitergehen würde, aber schon bald kam die Bitte, Haile Selassie selbst zu bekochen. Ihre Arbeit änderte sich dadurch grundlegend: War sie bis dahin meist nur für eine Person zuständig gewesen, so musste sie nun neben der alltäglichen Versorgung des Kaisers und seiner Familie auch die großen Staatsbankette organisieren. Immerhin konnte sie so Persönlichkeiten wie die britische Queen Elizabeth II. und den deutschen Bundespräsidenten Lübke bekochen.

Aber wer war Haile Selassie, für dessen leibliches Wohl Trenkler nun verantwortlich war? Er wurde als Sohn eines Fürsten unter dem Namen Tafari Makonnen 1892 geboren und war entfernt mit der kaiserlichen Familie verwandt, also jener Dynastie, deren Gründer der Sage nach einer Verbindung zwischen dem biblischen König Salomon und der Königin von Saba entsprungen sein soll.

Tafari übernahm schon als Jugendlicher erste Ämter in der Verwaltung von Provinzen. Er galt als Reformer, der die Macht des Adels brechen und Äthiopien in die Moderne führen wollte. 1917 wurde er zum Regenten des Landes ernannt, dreizehn Jahre später folgte die Krönung zum Kaiser, bei der er den Namen Haile Selassie - "Macht der Dreifaltigkeit" - annahm. 1935 marschierten italienische Truppen in Äthiopien ein, der Kaiser musste das Land verlassen und ins Exil gehen. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges konnten die italienischen Besatzer mit britischer Hilfe vertrieben werden und auf den Tag genau fünf Jahre nach seiner Flucht zog der Kaiser wieder in Addis Abeba ein.

Krieg mit Somalia#

Nach dem Zweiten Weltkrieg feierte Haile Selassie in der internationalen Politik viele Erfolge, er nahm am Gründungstreffen der Blockfreien-Bewegung in Belgrad teil und trug wesentlich zur Gründung der Organisation für Afrikanische Einheit bei, die in Addis Abeba ihren Sitz nahm. Doch neben dieser friedliebenden hatte seine Politik auch andere Seiten, so wurde etwa die frühere italienische Kolonie Eritrea an Äthiopien angeschlossen und ein Krieg gegen das Nachbarland Somalia geführt, in dem um die Region Ogaden gekämpft wurde.

Am Beginn seiner Herrschaft wurde der Kaiser in weiten Schichten der Bevölkerung verehrt, doch in den 60er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts begann es zu gären. Studenten, die in Europa ausgebildet worden waren, um zur Modernisierung ihres Landes beizutragen, waren mit dem Fortschritt der Reformen unzufrieden. Während sie sich zunehmend radikalisierten, stemmte sich der Adel mit allen Kräften gegen den Verlust seiner Macht.

Zur gleichen Zeit begann die Provinz Eritrea den Kampf um ihre Unabhängigkeit, das äthiopische Militär schlug rücksichtslos zurück. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechterten sich zusehends. Die Ölkrise traf das Land hart und führte dazu, dass die Preise rasant stiegen und die Arbeitslosigkeit wuchs.

Schließlich brach in der Provinz Wollo nach einer langen Dürre eine Hungersnot aus. Die Spannungen im Land wuchsen und der früher hoch angesehene Kaiser verlor zusehends an Reputation. Er wurde immer heftiger kritisiert, große Teile der Bevölkerung meinten, dass er sich im Palast abkapsle und keinen Bezug zum alltäglichen Leben seiner Untertanen habe. Am 12. September 1974 übernahm schließlich das Militär die Macht und Haile Selassie wurde abgesetzt. Der Kaiser wurde in seinem Palast unter Hausarrest gestellt und starb dort im August 1975 unter Umständen, die bis heute nicht restlos geklärt sind.

Die Regentschaft von Haile Selassie wird unterschiedlich beurteilt. Der polnische Reiseschriftsteller Ryszard Kapuscinski beschrieb ihn in seinem umstrittenen Buch "König der Könige" als den Prototypen eines orientalischen Despoten. Der Kaiser habe demnach etwa ein Hündchen besessen, dass seine Notdurft gerne auf die Füße der vor seiner Majestät stehenden Adeligen verrichtete. Die derart Beschmutzten durften keine Miene verziehen und mussten warten, bis ein eigens dafür abgestellter Diener den Kot von ihren Schuhen putzte.

In ein ganz anderes Licht wurde der Kaiser in einer Biografie gestellt, die von seinem Großneffen Asfa-Wossen Asserate verfasst wurde. Darin erscheint Haile Selassie als ein Mann, der sein Reich aus dem Mittelalter in die Moderne führen wollte, Kritik an ihm wird nur sachte geübt.

Auch Lore Trenkler gehörte zu jenen, die eine sehr gute Meinung von Haile Selassie hatten, denn mehrmals zeigte er sich ihr gegenüber von einer sehr menschlichen Seite. Als etwa die Mutter der Köchin starb, erfuhr der Kaiser davon und bezahlte ihr den Flug, damit sie am Begräbnis teilnehmen konnte. Auch als Trenkler eines Tages krank wurde, wurde sie auf Anweisung des Kaisers in das beste Spital von Addis Abeba eingeliefert - und Haile Selassie kam sogar, um sie persönlich am Krankenbett zu besuchen.

Neben diesen persönlichen und sehr positiven Erinnerungen an den Kaiser geht Trenkler in ihren Memoiren ("Arbeiten und Leben am Hof Haile Selassies I.", Erinnerungen 1960-1975, herausgegeben von Rudolf Agstner, Verlag Harrassowitz, Wiesbaden 2011) allerdings wenig auf die politischen Entwicklungen Äthiopiens ein, sie widmet sich vor allem ihrem alltäglichen Leben. Die Arbeit in der Küche das Palastes war Herausforderung genug, denn "bei den Äthiopiern gibt es keine Organisation, es ist ein heilloses Durcheinander mit Geschrei und Geschimpfe, aber zu guter Letzt klappt alles und es geht gut".

Buchcover: Lore Trenklers Erinnerungen
Buchcover: Lore Trenklers Erinnerungen

Ihre Freizeit nutzte Trenkler, um ihr Gastland kennenzulernen. Sie sah das Rote Meer und den Blauen Nil, bereiste fruchtbare Gegenden ebenso wie Salzwüsten und kam von diesen Ausflügen in die Provinzen "kolossal fasziniert" zurück. Auch das Leben auf dem Gelände des Palastes war außergewöhnlich, denn das Gebäude war von einem Park umgeben, in dem Gazellen und Affen frei lebten.

Doch die politische Entwicklung des Landes hatte auch Auswirkungen auf das private Leben Trenklers. Im September 1974 war die Lage "so gespannt, dass man es förmlich in der Luft spürte". Noch einmal sah sie Haile Selassie, am nächsten Tag hörte sie in den Nachrichten, dass er abgesetzt worden sei. Es folgte eine "Zeit zwischen Hoffen und Bangen", trotz der kritischen Lage wollte Trenkler "unbedingt dableiben und für den Kaiser sorgen, gerade in diesen schweren und ungewissen Zeiten".

Sie kochte weiter für den Kaiser, das Essen wurde ihm in das Gefängnis geliefert. Um sich selbst fürchtete sie sich nicht, "aber um den Kaiser und die kaiserliche Familie war ich dauernd in Angst". Als schließlich die Nachricht vom Tod Haile Selassies kam, brach sie ihre Zelte in Äthiopien ab und kehrte nach Österreich zurück, denn mit den "neuen Herren" wollte sie nichts zu tun haben. Die damals 60 Jahre alte Trenkler nahm in Wien eine neue Stelle an, begann zu malen und hielt immer wieder Vorträge über Äthiopien. Ihren Lebensabend verbrachte sie in einem Seniorenheim in Wien, wo sie im September 2002 im Alter von 88 Jahren starb.

Information Christian Hütterer, geb. 1974, Studium Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und Birmingham, lebt und arbeitet in Brüssel.

Wiener Zeitung, 20. Jänner 2019